Mittwoch, 11. Mai 2011

Nabel der Republik? Borchardt!

Wenn man sich so richtig in der Hauptstadt Berlin fühlen will und nur einen Abend hat, empfiehlt es sich im Restaurant Borchardt zu reservieren.
Vor allem unter der Woche ist es sehr interessant, da sich tatsächlich ganz Berlin dort trifft (Politiker, Künstler, Fernseh-Größen aus allen Kategorien). Das Essen ist nebensächlich, obwohl sehr gut (tolles Wiener Schnitzel, Steak oder ganz einfache kleinere Sachen). Im Wesentlichen ist es aber eine Theateraufführung, die sorgfältig inszeniert wird, wie auf einer Bühne:
In der Mitte werden möglichst schillernde Persönlichkeiten platziert, die den größten Unterhaltungswert haben. Direkt angrenzend wichtige Leute, die ein bisschen Diskretion brauchen, Politiker zum Beispiel. Also Mitte: gerne TV-Promis, Topmodels (Top- im wesentlichen nur während der Fashion Week!), Möchtegern- und Normalo- Models, Ex-Models (Botoxalarm!). Und ihre Begleiter: die Musikproduzenten.
An den Rändern dann die unauffällig-interessanten Menschen, Journalisten, kluge Leute, aber eben nicht bekannt aus Fernsehen meistens. Und natürlich: der gelegentliche, jedoch meist unauffällige Tourist.

Hier ein paar Tipps, wie man vom Borchardt-Theater profitieren kann:

-Outfit (für die mittlere Sektion Pflicht!):
Als Mann: Entweder Anzug oder Gel ins Haar, zweitens am besten eine langbeinige Blondine dabei haben.
Als Frau (natürlich aufwändiger): die neuesten Designer-Klamotten anziehen, die aktuellste Hermès-Handtasche dabei haben, aber das wichtigste: in die allerhöchsten Higheels schlüpfen, die man finden kann!
Jetzt, entscheidend: mit diesen Higheels regelmäßig zur Toilette und zu zahlreichen Rauchpausen (Gott sei Dank gibt es die nun!)  in sorgfältig ausgewählten Grüppchen langsam, etwa wie Giraffen durch das Restaurant staksen! (Im Sommer natürlich Tische im Innenhof im Freien, dennoch: Rauchpause vielleicht dennoch vor dem Restaurant geeignet, um gesehen zu werden!)
-Wenn man eine aufstrebende deutsche Band ist, bitte etwa gegen 22,23 Uhr herein geschlendert kommen (je nach Stil: Kaugummi kauen!), um in der Mitte des Restaurants aufwändig den eigenen Musik-Manager zu begrüßen und sich auffällig niederlassen (möglichst vorab viel zu wenig Stühle reservieren, um eine aufwändige Tisch-Zustell-Aktion initiieren zu können). Die Köpfe der Gäste am Rand des Restaurants drehen sich einem dann wie Sonnenblumen-Köpfe der Sonne zu.

Das reicht natürlich noch nicht: In diesem Borchardt-Spiel gewinnt, wer – – am meisten steht! Es gibt immer mindestens zwei, die herumstehen und andere Gäste an verschiedenen Tischen begrüßen (augenscheinlich: ob diese wollen oder nicht), von anderen auffällig begrüßt werden, und möglichst immer wieder laut lachen! (Typisch: sehr prominenter Vertreter der Modebranche, plus ein sehr (physisch) großer Politiker)

Mit diesen Basics ausgerüstet, viel Spaß!

Jetzt kommen natürlich sicherlich zwei Fragen: erstens: was ist, wenn ich ein Normalsterblicher bin oder Tourist, der keine Zeit hatte (oder gar: keine Lust hatte!) Higheels anzuziehen?:
Nicht verzagen, denn dieses Problem löst sich praktisch von selbst:
auch wenn man keine Higheels trägt, merkt man an sich selbst, bereits am Eingang und erst recht beim Gehen durch den Saal beginnt sich der Körper unwillkürlich wie auf Higheels zu bewegen, damit man einigermaßen unauffällig durch das Restaurant kommt. (Möglicherweise würde es nicht mal auffallen, wenn man einfach nur so auf Zehenspitzen laufen würde)

Nächste Frage: warum sollte man überhaupt hingehen?
Es ist einer der wenigen Orte, der einen Kult-Charakter in Deutschland besitzt, wo sich sehr Vieles aus unserer Gesellschaft tatsächlich verdichtet. Und: wo kann man schon in aller Ruhe seine Stars beim Abendessen beobachten – wie im Sommer geschehen: Janelle Monáe feierte in aller Bescheidenheit mit ihrer sehr feinen und zurückhaltenden Band ihr damals einziges Konzert in Deutschland! (Ganz ohne Higheels!!)


(Foto: Jacques Olivar, über lumas)

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